Ich bin in Thüringen groß geworden. Es ist ein Land, was an sich in der deutschen Wahrnehmung wenig spektakulär ist (von den Wahlergebnissen der letzten Jahre mal abgesehen.) Eins von diesen Bundesländern, deren Name man mal irgendwann in der 1. Klasse auswendig lernt, wenn man alle Bundesländer mit Hauptstädten aufzählen soll, und dann vielleicht kurz hört, wenn man im Deutschunterricht über Goethe oder Schiller spricht.
Und ich dachte lange Zeit, wir haben in Thüringen gar keinen Dialekt, abgesehen vielleicht von einem leichten nuschelnden Abrunden von ein paar Worten hier und da, und vereinzelten Begriffen. Denn ich war die ganze Zeit von Hochdeutsch umgeben, mehr oder weniger. Ich hatte nicht viel Kontakt zu Leuten auf dem Land oder in den Thüringer Randgebieten, wo der Dialekt etwas stärker verbreitet war, und wenn ich ihn gehört hab, hielt ich ihn für leichtes Sächseln. Meine eigene lokale Sprache fand in meinem Leben nicht statt, und genausowenig tat es mein Bundesland. Wir wurden hochdeutsch gelehrt, meine Familie sprach hochdeutsch. Wenn man nicht hochdeutsch sprach, sprach man "undeutlich" und soll mehr den Mund aufmachen, oder mal zum Logopäden gehen, zumindest war das meine Erfahrung mit Sprache.
Im Fernsehen sprachen auch fast alle hochdeutsch, genauso wie in Hörspielen, und wenn dem mal nicht so war, war es säschisch, bayrisch oder schwäbisch, oder österreichisch, weil es mal eine deutsche Produktion aus der enstprechenden Region war, bei der die Region zumindest ein bisschen eine thematische Rolle spielte. Denn die meisten Dinge, die im Fernsehen liefen, waren eigentlich gar keine deutschen Produktionen, sondern Filme und Serien aus anderen Ländern, die eine deutsche Vertonung hatten - selbstverständlich hochdeutsch. (Allerdings da wenigstens ein umgangssprachlicheres, authentisches Hochdeutsch, die Synchro von Stargate SG-1 war ein Traum und ich würds lieben, wenn die deutsche Spielesynchro auch nur halb so authentisch wäre.)
Wisst ihr, wann Dialekte eine Rolle spielten? Wenn man sich über die Leute, die sie sprechen, lustig machen wollte, besonders die Sachsen, Schwaben, Berliner und die Bayern. Die Darstellung des bayrischen Dialekts ging meistens mit den üblichen (oft negativen) Klischees einher, die das Land so begleitet. Verbohrtheit, Rückständigkeit, ein Konservatives Weltbild und verminderte Intelligenz. Sobald jemand was bayrisches sagt, ist da dieses Bild im Kopf. Das Berlinerische wird oft als unfreundliche oder sogar aggressive Sprache der Unterschicht wahrgenommen, und auch das deckt sich mit der Wahrnehmung, die man da von Berlinern so hat oder hatte.
Beim Sächsischen und Schwäbischen hingegen... "Das klingt so albern." "Das kann man ja gar nicht verstehen." Da steckte nix dahinter, kein Klischee, keine regionale Eigenheit, man hat sich einfach nur drüber lustig gemacht, weil die Sprache ist, wie sie ist.
Wenn ich vor vielen Jahren mal mit Leuten über Dialekte in Medien geredet hab, dann war das Gespräch schnell abgetan mit "Naja, man kann ja keinen sächselnden Zwerg einbringen, das geht doch nicht" und alle haben beigepflichtet und sind zum nächsten Thema übergegangen. Ein sächselnder starker gefährlicher Kämpfer wäre selbstverständlich unmöglich, den könne ja keiner Ernst nehmen und der wäre dann sofort als Witzfigur gebranntmarkt.
Das wurde überhaupt nicht hinterfragt, das wurde als so selbstverständlich hingestellt. Dialekte würden dafür sorgen, dass man die Charaktere oder Story nicht ernst nehmen könnte, bei manchen Dialekten sogar besonders stark.
Ich hab das auch nicht hinterfragt. Es fühlte sich komisch an und irgendwie falsch, aber ja, würde man Herr der Ringe neu vertonen und Gandalf zum Schwaben, Aragon zum Bayern und die Nazgul zu Sachsen machen, dann wär das "Comedy Gold" - weil Dialekte selbst schließlich doch was furchtbar albernes und ein Zeichen von mangelnder Bildung sind, oder so ein Ding, was nur noch die Großeltern sprechen.
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Sprache ist im ständigen Wandel, ein Produkt der Zeit und der Gesellschaft, in der sie gesprochen wird. Das Gebiet, das heute als Deutschland bezeichnet wird, war schon seit Jahrhunderten sprachlich von Völkerwanderungen, Eroberungen, Kriegen, Handel und was weiß ich noch geprägt. Unsere Dialekte sind daraus entstanden, genauso wie eingedeutschte Wörter aus z.B. dem Französischen oder Englischen und entgegen einiger auf Tradition pochenden Leute ist das ein völlig normaler und wunderschöner Prozess. Er zeigt, dass auch wir als Gesellschaft nicht in Stein gemeißelt sind und uns entwickeln. Auch das, was wir heute als hochdeutsch wahrnehmen, ist historisch gesehen eigentlich recht neu.Warum also diese extreme Erniedrigung von allen sprachlichen Elementen, von allen "Verunreinigungen des Hochdeutschen", besonders in den Medien, die wir konsumieren?
Warum kein sächselnder Kampfzwerg?
Warum keine schwäbische Kriegsherrin?
Warum keine bayrische Elfengelehrte?
Warum nicht einmal einfache grundlegende Umgangssprache als Ausdruck des unterschiedlichen Standes eines Charakters oder unterschiedlicher Herkunft?
Elementary und Sleepy Hollow haben eine klare Trennung zwischen British English und American English für die jeweiligen Britischen Charaktere. Der gefallene Londoner Detective in Elementary hat einen spezifischen regionalen englischen Akzent. In Final Fantasy XIV hat das englische Lokalisationsteam das ganze ins Extrem getrieben und zahlreiche regionale Dialekte, unterschiedliche Sprechweisen und in den letzten beiden Expansions auch Akzente aus anderen Ländern mit eingebracht. Und diese Medien auf Englisch im Originalton mit diesen Eigenheiten zu hören, macht es zu einer wirklich immersiven Erfahrung, indem es die Persönlichkeit der Charaktere, aber auch der Gegend, in der es spielt, herausarbeitet.
Derweil ist in deutscher Spielesynchro und vielen Serien nicht mal Alltagshochdeutsch in Gebrauch, nein, es klingt alles überdeutlich, als wärs für einen Sprachlehrkurs, oder für ein Theaterspiel, bei dem man besonders deutlich sprechen muss. Es hört sich so aufgesetzt, so falsch an, und ist einer der wesentlichen Gründe, warum das Umschalten auf den englischen Originalton eins der ersten Dinge ist, die ich mache, wenn ich mit einem Film, einem Spiel oder einer neuen Serie anfange. Selbst wenn das oft bedeutet, dass ich einen englischen Untertitel brauche, weil es mir manchmal an Vokabeln mangelt oder manche Charaktere einen wirklich starken Slang haben, den man nur gut kennt, wenn man eben in einem englischsprachigen Gebiet lebt: Es ist mir lieber, als sowas absolut reingewaschenes überkünstliches, was ich in meiner eigenen Sprache kriege. Dieser Mangel an Individualität sorgt auch dafür, dass viele Charaktere für mich akustisch schwer voneinander zu unterscheiden sind.
Ich hoffe wirklich, dass wir als Gesellschaft irgendwann an den Punkt kommen, an dem wir unsere deutsche Sprache wie sie ist, war und sein wird mit all ihren Eigenheiten wertschätzen, und mit all den Dingen, zu denen sie sich vielleicht noch entwickeln wird, und das auch in Medien repräsentieren. Gebt uns den Drachen mit Mecklenburgischer Mundart, die bayrische Gelehrte, den schwäbischen Zwergenkönig und die sächsische Kriegerin und zwar auf eine respektvolle Art, nicht nur, um sich über Leute mit Dialekt lustig zu machen.
(Und nur um das nochmal deutlich zu sagen: Ich sage nicht, dass alle deutschen Schauspierler*innen nichts können. Wie der Text geschrieben und gesprochen ist, den sie vertonen, oder was für Standards im Business gerade vorgerrschen, darauf haben sie schließlich überhaupt keinen Einfluss. Ich bin mir sicher, dass sie im Rahmen dessen, was ihnen möglich ist, exzellente Arbeit leisten.)
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