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text/gemini # Lem: Professor A. Donda (Leseprobe) Ich sitze vor meiner Höhle und ritze diese Wörter in Tontafeln. Immer schon hat es mich interessiert, wie die Babylonier das machten. Offenbar hatten sie besse- ren Ton, oder die Keilschrift eignete sich dafür besser; mein Ton zerläuft oder bröckelt. Doch schreibe ich lie- ber darauf als mit Kalkstein auf Schiefer, weil ich von Kindheit an empfindlich bin gegen Quietschen. Nie wie- der werde ich die antiken Techniken primitiv nennen. Der Professor beobachtete vor seinem Fortgehen, wie ich mich beim Feuerschlagen quälte, und als ich nach- einander einen Dosenöffner, unsere letzte Feile, ein Ta- schenmesser und eine Schere zerbrochen hatte, äußer- te er, der Dozent Tompkins vom British Museum habe vor vierzig Jahren versucht, aus Feuerstein einen ge- wöhnlichen Schaber zu schlagen, wie er in der Steinzeit angefertigt wurde, er habe sich das Handgelenk ver- staucht und die Brille zerbrochen, aber einen Schaber nicht abgespalten. Auch fügte er etwas gegen die Über- heblichkeit hinzu, mit der wir auf unsere Vorfahren, die Höhlenmenschen, herabsehen. Recht hatte er. Mein neuer Wohnsitz ist kümmerlich, die Matratze schon verfault, aus dem Artilleriebunker, in dem sich so gut wohnte, hat uns der kränkliche alte Gorilla vertrieben, den der Teufel aus dem Urwald hergebracht hat. Der Professor behauptete, nicht der Gorilla habe uns ver- jagt. Das war insofern richtig, als er keine Aggressivität kundtat, doch ich zog es vor, die schon enge Behausung nicht mit ihm zu teilen - am meisten nervös machte mich sein Spiel mit den Granaten. Vielleicht hätte ich meinerseits versucht, ihn zu vertreiben, er fürchtete sich vor den roten Büchsen mit Krebssuppe, von denen es dort noch so viele gab, aber er fürchtete sich doch zu wenig, und außerdem verkündete Maramotu, der sich jetzt ganz offen zum Schamanentum bekennt, er ver- mute in dem Affen die Seele seines Onkels, und bestand darauf, man dürfe nichts gegen ihn unternehmen. Ich versprach es, der Professor aber bemerkte boshaft wie immer, ich sei nicht wegen Maramotus Onkel zurück- haltend, sondern weil selbst ein kränklicher Gorilla ein Gorilla bleibt. Ich kann diesen Bunker nicht verschmer- zen, er gehörte einst zu den Grenzbefestigungen zwi- schen Gurunduwaju und Lamblia, ja, und jetzt haben sich die Soldaten verlaufen, und uns hat der Affe hin- ausgeworfen. Ständig lausche ich instinktiv, denn das Spiel mit den Granaten kann nicht gut enden, doch man hört nur wie immer das Stöhnen des übersatten Uru- wotu und dieses Pavians mit den blutunterlaufenen Au- gen. Maramotu sagt, das sei kein gewöhnlicher Pavian, doch ich muß mit dem Unsinn Schluß machen, sonst komme ich nicht zur Sache. Eine ordentliche Chronik sollte Daten haben. Ich weiß, das Ende der Welt erfolgte kurz nach der Regen- zeit, seit der ein paar Wochen vergangen sind, aber ich weiß nicht genau, wieviel Tage insgesamt, denn der Go- rilla hat mir meinen Kalender weggenommen, in dem ich mit Krebssuppe die wichtigsten Ereignisse seit der Zeit notiert habe, zu der die Kugelschreiber versiegten. Der Professor meint, es sei nicht das Ende der Welt gewesen, sondern nur das einer Zivilisation. Darin muß ich ihm recht geben, denn man darf die Ausmaße ei- nes solchen Geschehnisses nicht an den eigenen Un- bequemlichkeiten messen. Nichts Schreckliches ist ge- schehen, pflegte der Professor zu sagen und animierte Maramotu und mich zu Gesangsdarbietungen, doch als sein Pfeifentabak zu Ende war, verlor er die Heiterkeit des Gemüts, und nachdem er Kokosfasern probiert hat- te, brach er auf, um neuen Tabak zu holen, obwohl ihm klar sein mußte, was das heute für ein Unternehmen ist. Ich weiß nicht, ob ich ihn je wiedersehe. Um so mehr bin ich verpflichtet, unserer Nachkommenschaft, die die Zivilisation wieder errichten wird, diesen großen Menschen zu beschreiben. Mein Schicksal hat sich so gefügt, daß ich die hervorragendsten Persönlichkeiten meiner Zeit von nahem beobachten konnte, und wer weiß, ob Donda nicht als der Erste unter ihnen ange- sehen werden wird. Aber zunächst muß man erklären, wie ich in den afrikanischen Busch gekommen bin, der jetzt Niemandsland ist. M eine Erfolge im Bereich der Kosmonautik ver- schafften mir einen gewissen Ruhm, also wandten sich verschiedene Organisationen, Institute wie auch Privatpersonen an mich mit Einladungen und Angebo- ten und titulierten mich Professor, Akademiemitglied oder wenigstens Dr. habil. Das war peinlich, denn mir steht kein Titel zu, und ich schmücke mich nicht gern mit fremden Federn. Professor Tarantoga meinte, die Öffentlichkeit könnte die gähnende Leere vor meinem Namen nicht ertragen, er wandte sich also hinter mei- nem Rücken an Personen von erheblicher Bedeutung, und so wurde ich von einem Tag zum anderen General- bevollmächtigter der Welternährungsorganisation FAO für Afrika. Diese Würde und den Titel eines Spezial- rats nahm ich an, weil sie reine Ehrentitel sein sollten, doch da stellte sich heraus, daß die FAO im Lamblia, jener Republik, die im Handumdrehen vom Paläolithi- kum zum Monolithikum avanciert war, eine Kokoskon- servenfabrik erbaut hatte und ich als Bevollmächtigter dieser Organisation die feierliche Einweihung vorneh- men mußte. Das Unglück wollte es, daß der Diplomin- genieur Armand de Beurre, der mich im Auf- trag der UNESCO begleitete, beim Tee in der französischen Botschaft seinen Kneifer ver- lor, einen Schakal, der sich eingeschlichen hatte, für einen Windhund hielt und strei- cheln wollte. Angeblich ist der Biß des Scha- kals so gefährlich, weil er Leichengift an den Zähnen hat. Der brave Franzose nahm das auf die leichte Schulter und starb binnen drei Tagen. In den Wandelgängen des lamblischen Par- laments lief das Gerücht um, der Schakal ha- be einen bösen Geist in sich gehabt, den ein Schamane in ihn hineingetrieben hätte; eine Demarche der französischen Botschaft habe angeblich die Kandidatur dieses Schamanen zum Minister für religiöse Bekenntnisse und öffentliche Aufklärung unterbunden. Die Bot- schaft veröffentlichte kein offizielles Demen- ti, doch ergab sich eine heikle Situation, und statt die Leiche insgeheim abzutransportie- ren, hielten die im diplomatischen Protokoll unerfahrenen Politiker von Lamblia die Sache für eine großartige Gelegenheit, vor einem internationalen Forum zu glänzen. General Mahabutu, der Kriegsminister, veranstaltete einen Trauercocktail, auf dem man, wie das bei Cocktails so ist, mit dem Glas in der Hand über alles und nichts redete, und ich weiß gar nicht mehr, wann ich, vom Direktor der Europa-Abteilung Oberst Bamatahu befragt, antwortete, ja, hochgestellte Verstorbene würden bei uns manchmal in zugelöteten Särgen beigesetzt. Nicht im Traum fiel mir ein, die Fra- ge könnte etwas mit dem toten Franzosen zu tun ha- ben, den Lambliern wiederum kam es nicht abwegig vor, Fabrikeinrichtungen für das Arrangement einer modernen Beisetzung zu verwenden. Weil die Fabrik nur Literbüchsen produzierte, transportierte man den Toten mit einem Flugzeug der Air France in einer Kiste mit Reklameaufschriften für Kokosnüsse, doch nicht das erregte Anstoß, sondern daß die Kiste 96 Dosen enthielt. Später wurde ich schrecklich beschimpft, weil ich das nicht vorausgesehen hatte, aber wie konnte ich, wenn die Kiste zugenagelt und mit der Trikolore bedeckt war? Alle machten mir Vorwürfe, weil ich der lambli- schen Regierung kein Aide memoire übergeben hätte, des Inhalts, für wie unpassend wir die portionierte Ein- büchsung von Verstorbenen halten. General Mahabutu sandte mir eine Liane ins Hotel, mit der ich nichts an- zufangen wußte, erst von Professor Donda erfuhr ich, das sei eine Anspielung auf den Strick, an dem man mich gern hängen sähe. Diese Information kam übri- gens viel zu spät, denn inzwischen hatte man ein Exe- kutionspeloton geschickt, das ich, der ich die Sprache nicht kannte, für eine Ehrenkompanie hielt. Ohne Don- da würde ich weder diese noch irgendeine andere Ge- schichte erzählen. In Europa hatte man mich vor ihm als vor einem unverschämten Betrüger gewarnt, der die Leichtgläubigkeit und Naivität des jungen Staates aus- genutzt habe, um sich ein warmes Nest zu schaffen - er hatte nämlich schamlos die Kunststücke der Schama- nen zur Würde einer theoretischen Disziplin erhoben, die er an der einheimischen Universität lehrte. Ich hat- te den Informanten geglaubt, sah den Professor für ei- nen Hochstapler und Schurken an und hielt mich bei den offiziellen Empfängen von ihm fern, obwohl er mir schon damals durchaus sympathisch vorkam. Der fran- zösische Generalkonsul, zu dessen Residenz ich es am nächsten hatte (von der britischen Botschaft trennte mich ein Fluß voller Krokodile), versagte mir das Asyl, obwohl ich nur im Pyjama aus dem Hilton entflohen war. Er berief sich auf die Staatsräson, nämlich auf die Gefährdung der Interessen Frankreichs, die ich angeb- lich verursacht hätte. Hintergrund dieses Gesprächs durch das Guckloch in der Tür waren Karabinersalven, weil das Peloton bereits auf der Rückseite des Hotels übte, ich kehrte also um und überlegte, was besser sei, gleich zur Exekution zu gehen oder zwischen die Kroko- dile zu springen, denn ich stand am Fluß, als aus dem Schilf der mit Gepäck beladene Einbaum des Professors auftauchte. Kaum saß ich auf den Koffern, drückte er mir ein Paddel in die Hand und erläuterte mir, sein Kontrakt mit der Universität von Kulahari sei gerade beendet, er fahre nun in den Nachbarstaat Gurunduwa- ju, wohin man ihn als ordentlichen Professor für Svar- netik eingeladen habe. Vielleicht war dieser Universi- tätswechsel auch außerordentlich, doch konnte ich in meiner Situation solchen Fragen schwerlich nachge- hen. Auch wenn Donda nur einen Ruderer gebraucht hat- te, Tatsache ist, daß er mir das Leben rettete. Wir fuh- ren vier Tage, kein Wunder also, daß es zu einer Annä- herung kam. Ich war überall geschwollen von den Stichen der Moskitos, Donda hielt sie sich mit einem Abwehr- mittel vom Leibe und sagte mir des öfteren, die Dose sei fast leer. Auch das nahm ich ihm mit Rücksicht auf die besondere Lage nicht übel. Er kannte meine Bücher, folglich konnte ich ihm nur wenig erzählen, lernte da- für aber seine Lebensgeschichte kennen. Obwohl sein Name so klingt, ist Donda nicht Slawe und heißt auch nicht Donda. Den Vornamen Affidavit trägt er seit sechs Jahren, seit er beim Verlassen der Türkei das von den Behörden geforderte Affiıdavit beantragte und dieses Wort in die falsche Rubrik des Fragebogens eintrug, so daß er Paß, Reiseschecks, Impfzeugnis, Scheckkarte und Versicherungspolice auf den Namen Affidavit Donda er- hielt; er meinte, eine Reklamation lohne die Mühe nicht, weil es eigentlich gleichgültig sei, wie jemand heiße. Professor Donda kam infolge einer Reihe von Irr- tümern zur Welt. Sein Vater war eine Mestizin aus dem Indianerstamm der Navaho, an Müttern hatte er zwei und einen Bruchteil, nämlich eine weiße Russin, eine rote Negerin und schließlich Miss Aileen Seabury, eine Quäkerin, die ihn nach sieben Tagen Schwanger- schaft unter besonderen Umständen, nämlich in einem untergehenden Unterseeboot, gebar. Die Frau, die Dondas Vater war, wurde zu lebenslan- ger Haft verurteilt, weil sie das Quartier von Entfüh- rern in die Luft gesprengt und gleichzeitig den Absturz eines Flugzeuges der Pan American Airlines verursacht hatte. Sie sollte in das Stabsquartier der Entführer eine Lachgasbombe werfen, als Warnung. Zu diesem Zweck kam sie aus den Staaten nach Bolivien geflogen. Wäh- rend der Zollkontrolle auf dem Flughafen vertauschte sie ihr Necessaire mit dem Köfferchen eines neben ihr stehenden Japaners, und die Entführer flogen in die Luft, da der Japaner in seinem Gepäckstück eine richti- ge, für einen anderen bestimmte Bombe hatte. Das Flug- zeug, mit dem das Gepäck des Japaners infolge eines weiteren, durch einen Streik des Flughafenpersonals ver- ursachten Irrtums abflog, zerschellte kurz nach dem Start. Der Pilot hatte wahrscheinlich vor lauter Lachen die Herrschaft über das Steuer verloren. Bekanntlich kann man Jets nicht lüften. Die Unselige wurde ver- urteilt, und wenn je ein Mensch keine Chancen hatte, Nachkommen zu haben, so dieses Mädchen; doch wir leben im Zeitalter der Wissenschaft. Gerade damals erforschte Professor Harley Pomber- nack die Erbanlagen der Gefangenen in Bolivien. Er sam- melte auf sehr einfache Weise Körperzellen von den Gefangenen: Jeder Gefangene mußte ein Glasplättchen belecken, denn das genügt, damit sich ein paar Zellen der Schleimhaut ablösen. Im gleichen Labor befruchte- te ein anderer Amerikaner, Dr. Juggernaut, menschli- che Eizellen künstlich. Pombernacks Glasplättchen ge- rieten irgendwie mit Juggernauts durcheinander und kamen als männliche Samenzellen in den Kühlschrank. Infolgedessen wurde mit der Schleimhautzelle der Me- stizin eine Eizelle befruchtet, deren Spenderin die wei- ße Russin und Emigrantentochter war. Jetzt ist klar, war- um ich die Mestizin Dondas Vater genannt habe. Wenn nämlich das Ei von einer Frau stammt, muß zwangsläu- fig die Person, von der die befruchtende Zelle herrührt, als Vater angesehen werden. Pombernacks Assistent bemerkte im letzten Augen- blick den Sachverhalt, stürzte ins Labor und rief Pom- bernack zu: »Do not do it!«, doch rief er es undeutlich, wie die Angelsachsen das oft tun, und sein Ausruf klang wie »Dondo«. Später, als der Eintrag in das Geburtsregi- ster erfolgte, stellte sich dieser Laut irgendwie ein, da- her kommt der Name Donda - so jedenfalls erzählte man es dem Professor zwanzig Jahre später. Die Eizelle tat Pombernack in einen Inkubator, weil man die Befruchtung nicht mehr annullieren konnte. Die embryonale Entwicklung in der Retorte dauert ge- wöhnlich zwei Wochen, dann stirbt der Embryo ab. Der Zufall wollte es, daß gerade damals die amerikanische Liga zum Kampf mit der Ektogenese ein Urteil erstritt, kraft dessen der Gerichtsvollzieher alle Eizellen, die sich im Laboratorium befanden, beschlagnahmte; danach machte man sich mittels Zeitungsanzeigen auf die Su- che nach barmherzigen weiblichen Wesen, die bereit waren, als sogenannte Austräger-Mütter zu dienen. Auf den Appell meldeten sich zahlreiche Frauen, unter ih- nen auch die extremistische Negerin, die, als sie sich bereit erklärte, die Frucht auszutragen, keine Ahnung davon hatte, daß sie vier Monate später in einen An- schlag auf im Besitz der Nudlebacker Corporation be- findliche Kochsalzlager verwickelt werden würde. Die Negerin gehörte nämlich zu einer Gruppe aktiver Um- weltschützer, die sich dem Bau einer Atomzentrale in Massachusetts widersetzte, und die Leitung dieser Grup- pe beschränkte sich nicht auf Propagandaaktionen, son- dern wollte das Salzlager vernichten, weil man aus die- sem Salz auf elektrolytischem Wege reines Natrium gewinnt, das als Wärmeaustauscher für Reaktoren dient, und diese wiederum liefern die Energie für Turbinen und Dynamomaschinen. Der Reaktor, der in Massachu- setts erbaut werden sollte, kam zwar ohne metallisches Natrium aus, es handelte sich nämlich um einen Meiler mit schnellen Neutronen und neuem Austauscher, und die Firma, die diesen Austauscher produzierte, befand sich in Oregon und hieß Muddlebacker Corporation; was das Salz anbetraf, das vernichtet wurde, so war es kein Kochsalz, sondern für Kunstdünger vorgesehene
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